Kann meine Wohnung zugunsten von Flüchtlingen beschlagnahmt werden?

Auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Gewalt kommen derzeit viele Menschen nach Deutschland. Wenn sie hier ankommen, brauchen sie Verpflegung, Nahrung – und eine Wohnung. Eine Unterkunft für die vielen Menschen zu finden bringt manche Städte und Gemeinden an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Immer öfter ist nun zu hören, dass Immobilien beschlagnahmt werden sollen, um Schutzsuchende dort unterzubringen. Manche Menschen fürchten nun, dass sie aus ihrer Mietwohnung gedrängt werden.

Hamburg ist deutschlandweit in vielen Aspekten Vorreiter – der kleine Stadtstaat war eins der ersten Länder, die die Mietpreisbremse eingeführt haben und wird 2024 womöglich Austragungsort der Olympischen Spiele. Zudem ist Hamburg das erste Bundesland, in dem die Landesregierung leer stehende Gewerbeimmobilien beschlagnahmen und als Flüchtlingsunterkunft nutzen kann. Werden bald auch andere Regionen und womöglich Wohnungen betroffen sein?

Diese Sorge ist weitgehend unbegründet, beschwichtigt Thomas Hannemann, Rechtsanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht aus Karlsruhe. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Länder, Gemeinden oder Kommunen können Wohnungen nur dann beschlagnahmen, wenn eine Rechtsgrundlage dafür vorliegt“, sagt Rechtsanwalt Hannemann. „So etwas greift schließlich stark in das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht ein.“

Landespolizeigesetze: Obdachloseneinweisung möglich
Eine solche Rechtsgrundlage bieten, wenn überhaupt, bislang in erster Linie die Landespolizeigesetze. Sie erlauben es, eine Immobilie zu beschlagnahmen, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Menschen obdachlos würden. Droht Obdachlosigkeit, können Menschen per sogenannter Obdachloseneinweisung in Wohnungen eingewiesen werden, in der Regel jedoch nur für maximal sechs Monate. Für eine längere Beschlagnahme wäre eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Grundlage notwendig.

Vermietete und eigengenutzte Immobilien können nicht beschlagnahmt werden
Dies erklärt, warum es rechtlich gesehen äußerst schwierig ist, einen Mieter aus seiner Wohnung zu drängen, um einen Flüchtling unterzubringen. Denn mit dem Gesetz soll Obdachlosigkeit vermieden werden. Wenn zwar ein Schutzsuchender untergebracht, aber dafür ein anderer Mieter wohnungslos wird, hat sich an der Gesamtsituation letztlich nichts geändert.

„Das Mietrecht schützt Wohnraummieter in besonderem Maße vor Kündigungen“, erklärt Rechtsanwalt Hannemann. Einen bestehenden Mietvertrag könne der Vermieter dem rechtstreuen Mieter nur dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn er die Wohnung selbst nutzen will (Eigenbedarf) oder wenn das Haus abgerissen werden muss, weil jede Sanierung von vornherein sinnlos ist. „Einem Mieter zu kündigen, damit ein anderer Mieter einziehen kann, ist nicht erlaubt.“

Niemandem werden Flüchtlinge „in die Wohnung gesetzt“
Die Größe der Wohnung ist dabei ebenfalls unerheblich. Auch wer zum Beispiel Hartz IV bezieht und mit seinem Partner eine 90-Quadratmeter-Wohnung bewohnt, in der man auch eine sechsköpfige Familie unterbringen könnte, muss sich keine Sorgen machen. Er kann vom Vermieter nicht einfach gezwungen werden, seine Wohnung aufzugeben beziehungsweise eine Wohngemeinschaft mit Flüchtlingen einzugehen.
Unabhängig von der Frage nach der Unterbringung von Flüchtlingen hat das Jobcenter bei Hartz-IV-Empfängern allerdings ein Mitspracherecht, wenn es um die Wohnungsgröße und die Miete geht. Die Mietkosten, die übernommen werden, müssen angemessen sein, sie dürfen eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.

Zum Zusammenleben mit Flüchtlingen gezwungen zu werden, das kennen ältere Menschen aus der Nachkriegszeit. Damals wurden Menschen, die obdachlos geworden waren, einfach in freie Zimmer in fremden Wohnungen einquartiert. So etwas werde heute aber nicht passieren, beschwichtigt Rechtsanwalt Hannemann. „Die Obdachlosigkeit hatte damals eine ganz andere Dimension. Ein großer Teil der Bevölkerung hatte kein Dach mehr über dem Kopf.“ Mit der aktuellen Situation in Deutschland sei das nicht vergleichbar.

Auch leer stehende Wohnungen können nicht einfach beschlagnahmt werden
Hinzu kommt: Solche Maßnahmen wären für die Kommunen ohnehin viel zu kleinteilig. Die meisten Verantwortlichen sind jetzt schon überlastet. Sie brauchen kurzfristige Lösungen, um mehrere hundert Menschen auf einmal unterzubringen. Jede Wohnung auf Quadratmeterzahl und Anzahl der Bewohner zu prüfen, wäre viel zu viel Arbeit mit einer vergleichsweise kleinen Wirkung.

Aber manche Kommunen beschlagnahmen doch Wohnungen, könnte man jetzt einwenden. So einfach ist das jedoch nicht. Beschlagnahmt werden könne, wenn überhaupt, nur leer stehender Wohnraum, erklärt der Mietrechtsexperte Hannemann. Aber auch dann müsse zunächst geprüft werden, warum die Wohnung leer steht. „Hat der Eigentümer die Wohnung nicht vermietet, weil er sie sanieren will oder will er sie in naher Zukunft verkaufen oder vererben möchte, kann sie nicht beschlagnahmt werden.“

Etwas anderes ist es, wenn ein Eigentümer seine Immobilie leer stehen lässt, weil er zum Beispiel darauf hofft, dass die Mieten bald steigen. Dann handelt es sich um spekulativen Leerstand – eine Beschlagnahme ist dann möglich.

Beschlagnahme nur in seltenen Fällen rechtens
Eine vermietete Wohnung zur Unterbringung von Flüchtlingen zu kündigen, könnte allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn beispielsweise in einem Zehnfamilienhaus nur noch eine Wohnung vermietet ist, die restlichen neun Wohnungen aber leer stehen. Wäre die eine Wohnung auch unvermietet, könnte man in dem ganzen Haus zehn Familien unterbringen. Es könnte dann ausnahmsweise möglich sein, dass der einen Mietpartei der Mietvertrag gekündigt und eine andere Wohnung angeboten wird. Das ist jedoch nur in städtischen Mietwohnungen denkbar.

In einen bekannt gewordenen Fall hatte eine Gemeinde der Bewohnerin einer gemeindeeigenen Wohnung wegen „Eigenbedarfs“ gekündigt, damit dort Flüchtlinge einziehen können. Ob das rechtens sei, und ob die Gemeinde überhaupt hätte Eigenbedarf anmelden dürfen, ist noch unklar, aber nach alledem unwahrscheinlich.

Hamburg: Gesetz nur für freie Gewerbeimmobilien
Zurück an die Alster: Das in Hamburg verabschiedete Gesetz bezieht sich nur auf leer stehende Gewerbeimmobilien. Die Eigentümer werden dafür selbstverständlich entschädigt, das Land zahlt ihnen eine vergleichbare Marktmiete. Das Gesetz gilt bis Ende März 2017. Viele dieser Gewerbeimmobilien dürften nicht sofort bezugsfertig sein. Sie herzurichten und zum Beispiel mit Heizmöglichkeiten auszustatten wäre nach der Beschlagnahme Aufgabe der Landesregierung.

Beschlagnahme nur letzte Alternative
Wichtig ist: Eine Immobilie gegen den Willen des Eigentümers als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen, ist nur die letzte Alternative. Die Regierungen müssen zunächst versuchen, eigene Unterbringungsmöglichkeiten bereitzustellen oder anzumieten. Reicht das nicht mehr aus, suchen die Verantwortlichen in der Landesregierung in der Regel zunächst den Dialog mit dem Immobilieneigentümer.

Manch ein Eigentümer dürfte froh sein, wenn sie sein Gebäude auf diese Art doch noch vermietet wird. Andere sind, wenn sie auf die schwierige Situation hingewiesen werden, vielleicht doch noch bereit, ihre Immobilien für Schutzsuchende zur Verfügung zu stellen.

 

Pressemitteilung vom 09.02.2016


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