(DAV) Liegen mehrere Testamente vor, aus denen sich keine klare Erbfolge erkennen lässt, so ist fraglich, wann ein Bedürfnis zur Sicherung des Nachlasses durch eine Nachlasspflegschaft besteht.
Ungewisse Erbfolge
Ein Erblasser hinterlässt mehrere Verfügungen von Todes wegen. Neben einem privatschriftlichen Testament, in dem der Erblasser seine Ehefrau als seine Alleinerbin eingesetzt hat, existiert ein maschinengeschriebenes Testament mit einer ebenfalls maschinengeschriebenen und mit identischem Datum versehenen Änderung. Zwei Jahre später versieht der Erblasser dieses Schriftstück mit einer handgeschriebenen Änderung, in der er seine Kinder enterbt. In einem vier Jahre später verfassten handgeschriebenen und unterschriebenen Zusatz schreibt er seiner Lebensgefährtin alle Ansprüche aus Pensionszusage, einem Maklerlizenzvertrag sowie einem Darlehensvertrag zu. Nach dem Tod des Erblassers ordnet das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben des Erblassers an, da die Erbfolge aufgrund diverser Testamente ungewiss sei. Gegen den Beschluss des Gerichts legt die Lebensgefährtin des Erblassers Beschwerde ein, da sie der Auffassung ist, dass sie selbst als Erbin eingesetzt wurde und die Erben somit nicht unbekannt sind.
Sicherungsbedürfnis bei Gefährdung des Nachlasses
Zu Unrecht, so entscheidet das Gericht. Das Nachlassgericht muss bei der Beurteilung der Erbfolge zwar nicht mit eindeutiger Gewissheit die Person des Erben feststellen können, erforderlich ist aber, dass eine bestimmte Person mit hoher Wahrscheinlichkeit Erbe geworden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist die Beschlussfassung des Gerichtes. Kann sich das Nachlassgericht nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist, so gilt der Erbe als unbekannt. Bei mehreren, nicht ganz eindeutigen Testamenten, kann das Gericht die Person des Erben nicht ohne eben solche weitreichenden Ermittlungen über die Vermögensverhältnisse und den Bestand des Nachlasses zum Zeitpunkt der verschiedenen Verfügungen von Todes wegen feststellen. Die Ungewissheit in Bezug auf die Person des Erben kann für das Gericht schon einen Sicherungsanlass darstellen, erforderlich ist jedoch, dass daneben auch ein Fürsorgebedürfnis gegeben ist. Ein solches besteht, wenn ohne das Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre, wobei ausschließlich das Interesse des endgültigen Erben maßgeblich ist. Zum Zeitpunkt der Anordnung über den Sicherungsanlass bedarf es daher konkreter Anhaltspunkte für eine weitergehende Gefährdung des Nachlasswertes, so z.B. die Verminderung des Aktivvermögens durch Wertverlust, durch Unterlassen der Geltendmachung von Ansprüchen oder wegen fehlender ordnungsgemäßer Verwaltung. Die Höhe und die Zusammensetzung des Nachlasses können dabei bereits ein Indiz für ein Sicherungsbedürfnis sein. Ist nach Feststellung des Nachlassgerichts der Erbe unbekannt und liegt ein Fürsorgebedürfnis vor, sind die Voraussetzungen für eine Nachlasspflegschaft gegeben.
Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg, Beschl. v. 29.11.2022 – 3 W 79/22
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